
Litauen.
Die preussischen Litauer, die Bewohner des Teils der Provinz Ostpreussen, gehören mit ihren Brüdern, den russischen Litauern, sowie den besonders in Kurland ansässigen Letten zu einem Volksstamm, welchen man zusammenfassend als den „baltischen“ zu bezeichnen pflegt. Wiewohl mit dem slavischen eng verwandt, bildet derselbe seiner Sprache und Nationalität nach doch ein durchaus selbständiges Glied der großen indo-germanischen Völkerfamilie, welches sich an Alter jedem anderen Stamm, wie den benachbarten Deutschen und Slawen, ebenbürtig an die Seite stellen darf. Freilich ist das Volkstum der Litauer, welche es wegen ihrer geringen Zahl nicht zu einer politischen Unabhängigkeit zu bringen vermochten, nicht stark genug, um gegen das andringende Deutschtum mit Erfolg seinen ursprünglichen Charakter behaupten zu können.
Mehr und mehr zieht sich jährlich die Grenze der litauischen Sprache, deren Kenntnis gegenwärtig fast nur noch in den unteren Schichten der Landbevölkerung fortlebt, in Folge der Germanisierung zurück, und es wird ohne Zweifel die Zeit kommen, wo litauische Literatur und Nationalität nur mehr der Geschichte angehören.
In gleicher Weise wie die Sprache, geht auch die Tracht immer mehr ihrer Auflösung entgegen. In der Bekleidungsweise zeigen sich bei den Litauern der verschiedenen Gegenden mannigfaltige Unterschiede, und sind deshalb hier nur die besonders charakteristischen ins Auge gefasst worden; die um Tilsit wohnenden sind viel reicher ausgestattet, wie jene in der Gegend um Memel; dies hängt besonders mit ihrer Hausindustrie zusammen, welche im südlichen Litauen in größerer Ausdehnung betrieben wird, denn die Litauerinnen pflegen alle Künste der bäuerlichen Hausfrau, wie nähen, sticken, stricken, klöppeln und weben die eigenartigsten Muster und Stoffe.
Ein Hauptbekleidungsstück der weiblichen Bevölkerung, welches überall in Litauen getragen wird, wo noch alte Landestracht sich erhalten hat, ist die Marginne, ursprünglich ein länglich viereckiges Stück buntkariertes Wollstoffes in vorherrschend stumpfroten Tönungen, welcher würfelförmig duchkreuzt durch feinere bunte Streifen, verschiedenartig angelegt wurde. Früher wurde dieses Tuch um den Leib gewickelt, dann auch dergestalt um den Körper gelegt, daß dasselbe von der linken Schulter herabhängend, den rechten Arm frei ließ und gegürtet wurde.
Heute hat derselbe Stoff, welcher auch den gleichen Namen führt, die Gestalt eines kurzen, sehr faltenreichen Röckchens angenommen, an welches sich oberhalb ein farbiges oder gestricktes Mieder anschließt. Ausser diesem nationalen Kleidungsstück in den rot,- und buntgewürfelten oder langstreifigen Mustern werden auch einfarbige Stoffe zum Rock verwendet, je nach dem Geschmack Einzelner oder ganzer Dorfgruppen. Neben der dunkelblauen oder grünen Farbe wird braun sehr häufig getragen.
Das blendend weiße Hemd, an welchen der obere Teil vom Miederausschnitt ab, wie auch die langen, weitfaltigen Ärmel sichtbar sind, ist am Bündchen der Halsöffnung sowohl, wie an der Achsel und am Handgelenk mit zierlichen Blumenranken und Streifenmustern mehrfarbig gestickt, größtenteils in rot, doch kommen diese Stickereien auch in blau oder schwarz vor. Besonders zierlich wirkt die weiße Stickarbeit auf der ungebleichten, gelblich grauen Leinwand. Zuweilen wird der obere Teil des Hemdes durch ein Tuch von feiner Wolle oder geblümtem Mull gedeckt.
Den vorderen Teil der Marginne deckt die Schürze, deren oft mehrere von Leinen oder Wolle übereinander gebunden werden; die obere ist als Festtracht mit Kanten oder Franzen besetzt und reich bestickt in den eigenartig litauischen Mustern, die sich vielfach an der Tracht wiederholen, oder in Langstreifen verziert mit Verwendung von Goldlahnfaden (geplätteter Metalldraht ) oder endlich durch eine den Saum verzierende bunte Blumenborte. Am oberen Rand wird die Schürze durch eine Zugschnur faltig zusammen gefasst und diese Befestigung durch einen bunt gestickten oder gewirkten Gürtel gedeckt.
Bei vollständigem Anzug trägt die Litauerin im Sommer eine durch Hacken oder blanke Knöpfe geschlossene dunkelblaue Tuchjacke mit schmalem, herunter geklappten Kragen, weitbauschigen Ärmeln und kurzem Schößchen, im Winter dagegen einen längeren, mit Lammfell gefütterten, dunkelblauen Tuchüberrock (Pamusztinis), gewöhnlich bis unter die Knie reichend, welcher an Rändern und Kragen mit Otterfell besetzt und durch einen reich verzierten Schulterbesatz aus grünen, roten, gelben, auch goldenen Bandstreifen geschmückt ist. Durch einen bunt gewirkten Gürtel mit langen bequasteten Faden wird der Pelzrock zusammen gehalten.
Diese Bekleidung des Oberkörpers durch Jacke oder Pelz wird am Festtag teilweise durch einen Schal (Drobule) gedeckt; derselbe ist von weisser Leinwand in verschiedener Länge mit einem etwa 14 cm breiten Streifeneinsatz in der Mitte, von gelbgrauem Leinen, auf welchem in breiten weissen Linien ein charakteristisches litauisches Muster gestickt ist, ähnlich wie wir dies bei Hemden und Schürzen gefunden haben.
Werktagsgewand
Herausgeber: Bezirk Schwaben; 2. Edition (9. August 2013).
Das Buch bietet eine ausführliche Anleitung zum Nähen des Werktagsgewandes.
Garnkunst. Naturmotive sticken mit der Nähmaschine.
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Besonders landeseigentümlich ist das ineinander gewickelte, wollene Frauenkopftuch (Moteres) in rotbunten, blumigen oder gewürfelten Mustern; auch ist es von weißem Leinen mit roten Stickereien oder Fransenbesatz. Diese Kopftracht der Frauen wird auf verschiedene Art angelegt, die am allgemeinsten gebräuchliche Anordnung bedeckt das Haar, mit Ausnahme eines kleinen teils des vorderen Scheitels, vollständig mit einem Turban artig gewickelten Wulst, deren zwei Enden am Nacken herab hängen, oder das dreiendig zusammen gelegte Tuch bedeckt glatt den Kopf und wird im Nacken geknüpft. Eine besondere Gattung nur im Winter getragener, sehr großer wollener Tücher ist das, welches wie eine Baschlik (kapuzenartige Haube mit zwei langen Zipfeln) um Kopf, Hals und den oberen Teil der Brust gewickelt und im Nacken zu drei, den Rücken deckenden, Zipfeln verknüpft ist.

Die Mädchen gehen größtenteils ohne Kopftuch oder doch nur in einem solchen von weißer Farbe, deren Wickelung derart ist, daß der obere Teil des Kopfes unbedeckt bleibt und der mittlere Zipfel nicht wie bei dem Kopftuch der Frauen zusammen gewickelt wird, sondern zwischen den seitwärts hängenden, beiden Zipfeln am Nacken über den Haarknoten herab hängt.
Größere Verbreitung als Mädchentracht findet der mit Bändern verflochtene, rund um den Kopf gelegte Haarkranz, während den vorderen Teil des Scheitels ein Diadem förmig, ausgeschnittener farbiger Samtstreifen deckt, welcher mit Goldflittern ausgeputzt und durch bunte Seidenbänder am Nacken festgebunden wird.
Die alte nationale Fuss und Beinbekleidung, welche jetzt nicht mehr so allgemein ist, besteht in einer Bewickelung der Beine durch Zeuglappen, über welche im Winter von den wohlhabenden Landbewohnern Strümpfe gezogen wurden. Über diese legt man die Pareszken an, Schuhe von Lindenbast korbartig geflochten, von welchen Riemen oder Bastbänder ausgehend und um das Bein sich kreuzend bis unter das Knie geschlungen werden und so deren Bewickelung festhalten.
Doch seit geraumer Zeit ist dies mehr die Tracht des werktätigen oder des ärmeren Volkes. Schon im vorigen Jahrhundert waren bei Festlichkeiten Zwickelstrümpfe in verschiedenen Farben und schwarze Lederschuhe mit Laschen und hohen Absätzen, sowie einer farbigen Schleife über dem Spann allgemeiner Gebrauch. Jetzt finden wir noch das Gleiche in der Ausstattung, Brautstrümpfe sogar durchweg mit eingestickten Blumenranken verziert. Im Hause bedient man sich auch vielfach der Holzpantoffeln mit Lederkappen.
Die Neigung der Litauerinnen alles auszuschmücken, hat sich schließlich auch auf die in allerlei Mustern und Farben gestrickten wollenen Fingerhandschuhe ausgedehnt, sowie auch die an der Seite vom Gürtel herabhängende Tasche von dunklem Tuch bestickt ist, und endlich bildet das weißleinene Taschentuch mit weißrot gestickten, eckigen Pflanzenornamenten einen hervorragenden Putzgegenstand.
Noch sei des Schmuckes der Raute gedacht, welche in jedem Garten gepflegt wird und nicht nur der Braut zum Kranz vorbehalten bleibt, sondern auch sonst bei allen Gelegenheiten, wo die Litauer eines schmückenden Abzeichens bedürfen, angewendet wird.
In der Männertracht fällt zunächst als charakteristisch auf der Kittel; im Sommer von Leinen, in weißer, grauer, dunkelblauer oder brauner Farbe, im Winter von Wand, einem ebenfalls selbstgefertigten, dicken tuchähnlichen Stoff; dieser Rock wird längs der Brust durch Hacken und Ösen geschlossen, und fällt der kraus und faltig angesetzte Schoß mir den zwei Schlitztaschen der Vorderseiten bis zum Knie, auch bis unter die Wade. Die glatten Ärmel sind mit roten, spitz zulaufenden Aufschlägen am Handgelenk versehen und ein Gürtel von braunen Leder mit Messingschloss hält den Rock über den Hüften zusammen. Dieses Messingschloss, wie auch die roten Ärmelaufschläge sollen ein Vorrecht sein, welches der große Kurfürst den Litauern dereinst für betätigte Tapferkeit gegen die Schweden verlieh.
Der weiße Schafspelz mit der Lederseite nach aussen ist bei Männern und Frauen in Gebrauch und entbehrt dann auch nicht der bunten Lederstickerei. Die weiten Beinkleider von Leinen sind am Knie aufgebunden und fallen faltig über die braunen, grauen oder dunkelblauen Zeuglappen umwickelten Unterschenkel, um welche, wie schon bei den Frauen erwähnt ist, die Kreuzriemen der Pareszken von Lindenbast gewunden sind.
In den Fischergegenden der Niederung trägt man eine jackenartige Bekleidung für den Oberkörper von rotbuntem Zeug oder blauem Tuch mit Knöpfen besetzt, dazu sehr weite Fischerhosen von grauem, ungebleichten Leinen oder blauem Tuch, am Bund in viele Falten gezogen, und helle Weste mit blanken Knöpfen besetzt.
Die dem Litauer eigenartigste Kopfbedeckung ist die Kapuze, eine Sturmkappe von blauem Tuch, mit einem über der Stirn empor stehenden, einem Visier ähnlichen Aufschlag von rotem Wollstoff. Die kapuze in Verbindung mit der übrigen langen gegürteten Kleidung und den sich kreuzenden Beinriemen erinnert an die ritterliche Erscheinungen des Mittelalters. Doch nimmt die Kopfbedeckung durch zusammenlegen die verschiedensten Formen an. Ausser dieser so besonders praktischen Kopfbekleidung wird ein schmal randiger, schwarzer Filzhut getragen oder die schirmlose Pelzmütze von Lammfell (Baranka) mit herabhängenden schwarzseidenen Bändern.

Das der Fischer berufsmässig sich auch der hohen, das ganze Bein bedeckenden Stiefel bedient, wie im häuslichen walten die plumpen Holzschuhe in Gebrauch sind, mag das wissenswerte der Tracht dieser Gegend beschließen.
Quelle: Volkstrachten. Original-Zeichnungen mit erklärendem Text von Albert Kretschmer. Maler und Professor am Königl. Hoftheatr Berlin. Leipzig J. G. Bach`s Verlag (Fr. Eugen Köhler) 1887. Deutsche Volkstrachten von 1864-1870.
Die Schreibweise folgt weitgehend dem Originaltext.